Wer dieser Tage das Twitter-Profil von Henning Jeschke besucht, dem blickt dort vor der unscharfen Hintergrundsilhouette des Kanzleramtes ein entschlossen wirkender junger Mann entgegen. Hohe, etwas eingefallene Wangen, brombeerfarbener Schal, unbewegte Miene. Jeschke ist ein Gesicht der Letzten Generation, einer Gruppe Klimaaktivist*innen, die ihren Namen aus der Annahme ableiten, als Letzte imstande zu sein, das »unermessliche Leid des Klimazusammenbruchs« aufzuhalten: »Gehen wir den Weg des Massenaussterbens oder ergreifen wir die Chance für einen gerechten Systemwandel? Noch haben wir die Wahl.«[1] Das sind große Worte, die aus dem Mund einiger Teenager und twenty-somethings schnell pathetisch klingen können; nichtsdestoweniger hat die Gruppe in den vergangenen Monaten einen beeindruckenden Aufmerksamkeitssog erzeugt. Zunächst war da der Hungerstreik, in den sich Angehörige der Letzten Generation Ende August begeben hatten, um so ein Gespräch mit den Kanzlerkandidat*innen Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock zu erzwingen. Nachdem sich dieses Vorhaben als illusorisch entpuppt hatte, gelang es immerhin, dem mittlerweile als Wahlsieger feststehenden SPD-Mann Scholz ein Nachwahltreffen abzuringen – das aber ob der fehlenden Gesprächskultur der beteiligten Aktivist*innen alsbald zur Groteske geriet.[2] Im Januar läuteten diese, in erweiterter Besetzung,[3] mit einer Kampagne gegen klimaschädliche Lebensmittelverschwendung schließlich den dritten und aufwendigsten Akt ihres Proteststückes ein. Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Beitrags ist er in vollem Gange und mutmaßlich to be continued.

In ihrer Unversöhnlichkeit von der radikalen Klimabewegung Extinction Rebellion inspiriert, ist die Gruppe dabei sowohl aus demokratietheoretischer wie auch politpragmatischer Perspektive interessant. Ihr Aufkommen fällt in eine Zeit, in der sich ein unspezifisches Bedürfnis nach Wandel[4] mit Pandemiemüdigkeit und grassierender Zukunftsskepsis kreuzt; ihr Thema wiederum wird bestimmt durch die seltsame Gleichzeitigkeit von Bedeutung und Unplastizität:[5] Der Klimawandel kommt, er wird groß und gewaltig in unsere Lebenswelt einbrechen, doch bisher ist davon noch nicht allzu viel zu spüren. Für viele Bürger*innen, die sich bei nassdeutschem Nieselwetter die Nase am Fenster plattdrücken und versonnen auf die am Kühlschrank festgepinnte Postkarte aus Madeira oder Mayotte schielen, klingt »3 Grad mehr!« dann auch weniger nach einer sich abzeichnenden Natur- und Hungerkatastrophe als nach einem durchaus verlockenden Extrahauch Mediterranität.[6]

Klimapolitische Richtungskämpfe

Dieser Grundirritation ungeachtet schienen Klimafragen lange Zeit auf der aufmerksamkeitspolitischen Siegerstraße zu sein. Im August 2018 hatte sich die damals 15-jährige Greta Thunberg mit einem selbstgebastelten Pappschild vor dem schwedischen Riksdag postiert und damit den Startschuss für eine knapp anderthalbjährige Klima-Hausse gegeben. Es folgten in rascher Folge die Etablierung von Fridays for Future und nachgeordneter Ableger (Scientists, Parents etc.), die ersten internationalen Großdemonstrationen, die Transatlantikfahrt Thunbergs mit der CO2-neutralen Hochseejacht sowie ihr emotionaler Appell auf der UN-Klimakonferenz 2019. Bei all dem konnte die Bewegung stets auf eine wohlwollende Berichterstattung und erhebliche politische Sympathien vertrauen.[7] Gerade in Deutschland dominierten bis in bürgerliche Milieus hinein jene Stimmen, die den Freitagsstreik der Jungen als legitimen Protestakt gegen eine zukunftsblinde Politik verstanden wissen wollten;[8] Kritik manifestierte sich (abseits der harten Rechten) allenfalls als diffuse Befürchtung, dass sich der dabei eingepreiste Unterrichtsausfall zur jüngsten Kalamität der ewigen deutschen Bildungsmisere auswachsen könnte.

Möglich wurde diese weitläufige Unterstützung vor allem deshalb, weil der Protest der Fridays in Form und Substanz einem recht konventionellen und politkompatiblen Grundmuster folgte: Keine Gewalt. Keine Militanz. Keine ideologischen Sonderaufladungen und kein Abgleiten in eine allzu steiflippige Wissenschaftsvergötzung. Stattdessen gelang die Inszenierung als buntes Jugendevent, verankert in klassischen Bewegungslogiken und getragen von ehrlicher Sorge um die Einhaltung des Pariser Abkommens. Oder nüchtern-bewegungssoziologisch formuliert: »Die Kampagne bietet […] resonanzfähige Elemente eines kompletten Framing-Pakets.«[9] Von der Letzten Generation unterscheidet sie sich insofern nur graduell, was die Substanz ihres Anliegens betrifft, dafür umso deutlicher im Hinblick auf die Radikalität der Haltung und Modalität der Vermittlung. Insbesondere die für Fridays so elementare Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten ist für die Generationist*innen kaum von Interesse. Nicht Mehrheiten wollen diese gewinnen, sondern relevante Entscheidungsträger*innen mit pressure politics unmittelbar unter Druck setzen: Konfrontation statt Koalitionenbildung ist folglich das Leitprinzip.

Welche bizarren Abzweigungen ein solcher Ansatz nehmen kann, veranschaulicht wenig so gut und nachdrücklich, wie das eingangs erwähnte Aufeinandertreffen von Jeschke und seiner Mitstreiterin Lea Bonasera mit Scholz in den Räumlichkeiten der Friedrich-Ebert-Stiftung. Was als dialogos, also als fruchtbringender Austausch, hätte angelegt sein können, geriet zu einem regelrechten Inquisitionstribunal, bei dem vor allem Jeschke den Wahlsieger und Kanzler in spe fortwährend unterbrach und mit bizarren Vorwürfen traktierte. Für eine leidenschaftliche Vortragsweise hätte man wohl noch Verständnis aufbringen können, doch war schon nach wenigen Minuten die Grenze zur verbalen Dauerblutgrätsche so offen überschritten, dass an der letztgenerationalen Gesprächsbereitschaft ernstlich zu zweifeln war. Und spätestens als sogar der notorische Stoiker Scholz dem Aktivist*innenduo eine defekte Realitätswahrnehmung attestierte (»Wie kommen Sie eigentlich auf diese größenwahnsinnige Selbsteinschätzung?«),[10] verflüchtigte sich auch der letzte Rest Hoffnung auf einen diskursiven Common Ground. Statt konstruktiven Austausch zu suchen, hatten Jeschke und Bonasera dem Politpranger den Vorzug gegeben.

Taktisch mag ein solches Vorgehen sinnvoll gewesen sein – immerhin ist die Letzte Generation ein avantgardistisches Kleinprojekt, das nicht auf die Ressourcen und das öffentliche Interesse der Freitagsdemonstrant*innen zurückgreifen kann; ergo haben ihre Mitglieder einigen Grund, sich mit stilistischen Konsensbrüchen hervorzutun und die eigene Unnachgiebigkeit möglichst eindrucksvoll in Szene zu setzen. Auch ließe sich einwenden, dass keine Pflicht zur Einhaltung bestimmter Umgangsformen bestehe und verbale Auseinandersetzungen durchaus laut, ruppig und im Einzelfall sogar unflätig sein dürften. Im Grundsatz ist beides sicher richtig, doch muss dennoch ein dialogisches Minimum beibehalten, dem Gegenüber also die Möglichkeit auf und das Recht zum Widerspruch zugestanden werden. Andernfalls ist es nicht länger Austausch, sondern nur noch leidlich solipsistisches Geschrei.

In diesem Fall war es augenscheinlich Ziel der Aktivist*innenseite, dem künftigen Regierungschef kein Gespräch im eigentlichen Sinne, sondern ein Bekenntnis zu einer bestimmten Sachinterpretation abnötigen zu wollen und sich so über gängige Meinungsbildungsprozesse hinwegzusetzen. Das ist nicht weniger problematisch als die Vorstellung, man könne sich dem demokratischen Austarieren verschiedener Interessen mit einem möglichst unversöhnlichen Auftreten entziehen; ganz zu schweigen von der quasi en passant in den Raum gestellten Behauptung, dass Scholz »realitätsfremd und verfassungswidrig«[11] handele, wenn er sich nach den Positionen seiner Partei richtet. So zu reden und zu denken, ist nicht nur unter pluralistischen Gesichtspunkten unstatthaft, sondern ridikülisiert zugleich all die Millionen Wähler*innen, denen Klimaschutz ein gewichtiges Anliegen ist und die dennoch den Ampel-Parteien ihr Vertrauen ausgesprochen haben. Nicht aus naiver Gutgläubigkeit heraus, sondern im Wissen um die Bedeutung politischen Realitätssinns für jede Form klimapolitischer Problembewältigung.

Dringlichkeit als falscher Trumpf

Nun gibt es eine argumentative Trumpfkarte, mit der die Letzte Generation derlei Vorbehalten üblicherweise entgegentritt. Sie heißt Dringlichkeit. Diskurs und Meinungsbildung, alles schön und gut, doch wenn wir demnächst in der »Klimahölle« (Jeschke)[12] schmachten, dann hilft uns das Gralshütertum konsensualer Konfliktbewältigung auch nicht weiter. Das Problem mit der Dringlichkeitsnotation ist indes, dass jedes erdenkliche Anliegen von seinen Befürworter*innen immer als unaufschiebbarer Epochenentscheid apostrophiert wird. Für den Erfolg müssen sie trotzdem nach gewissen Regeln spielen, beziehungsweise im Übertreten derselben Maß halten. So rühmen wir heute Martin Luther King dafür, beherzt gegen das segregationistische Unrecht seiner Zeit angekämpft zu haben; doch ist schwer vorstellbar, dass King zu der Einsicht gelangt wäre, die Dringlichkeit seines Kampfes ließe sich am sinnigsten durch öffentliche Brüllanfälle herausstellen. Auch ihm dürfte stattdessen nur allzu bewusst gewesen sein, dass die eigentliche Herausforderung darin besteht, verschlossene hearts und minds dauerhaft für den gesellschaftlichen Wandel zu öffnen: Protest, ja – stumpfer Aktivismus, nein.

Halt, wendet die Letzte Generation ein, der Vergleich hinkt! Denn die Dringlichkeit des Klimawandels ist keine moralische, sondern vielmehr eine zeitlich-materielle Kategorie. Konkret: »Eine Hungerkrise, die auch nach Europa schwappen wird, die bedeutet […] einen Lidl, der ausgeraubt wurde, der geplündert wurde… davor auf dem Parkplatz liegen Leichen. Die Menschen kloppen sich um Brot.«[13] Hier nähert man sich unweigerlich vermintem Terrain, auf dem es dennoch einige wesentliche Rahmenbedingungen festzusetzen gilt. Erstens besteht nämlich keinerlei Anspruch, dass andere Akteur*innen solche Schreckensvisionen teilen oder auch nur an den Klimawandel an sich glauben. Die Grenzen der Debatte bestimmen Rechtsordnung und Responsivitätsfähigkeit; kein Erkenntnissystem, so überzeugt man selbst von der Schlüssigkeit seiner Befunde auch sein mag. Zweitens besteht noch viel weniger ein Anspruch, dass, wer mit der Problembeschreibung d’accord geht, auch denselben Handlungsdruck verspürt oder dasselbe Lösungskonzept präferiert. Die Losung, man folge doch nur der Wissenschaft, ist sicher honorig, führt hier aber in die Irre, denn besagte Wissenschaft ist legitimitätstheoretisch kaum als absolute Referenzinstanz anzusehen. Schon die Philosophenkönige Platons waren bekanntlich nach dem Grundsatz der Tugend statt dem des Szientismus modelliert,[14] und die Idee einer Klimagerichtsbarkeit eigener Art hat sich bis dato auch nicht durchsetzen können.[15]

Drittens kommt erschwerend hinzu, dass der Klimawandel (zumindest in seiner von der Letzten Generation dargestellten Form) weniger auf Beobachtung als auf Prognostik beruht, jede Forderung also nicht auf die Beschaffenheit der Welt, sondern nur auf die unserem Erfahrungshorizont weitaus fernere Beschaffenheit der Zukunft gründet. Und auch wenn es gute Gründe für die Richtigkeit dieser Prognostik geben mag, so bleibt sie doch, wie jede*r Wissenschaftler*in bestätigen wird, ein zutiefst projektives Unterfangen: Ein Versuch, auf Grundlage bestehender Erkenntnisse Aussagen zu treffen, derer man sich in einer zukunftsoffenen Welt[16] nur bedingt sicher sein kann und die für die meisten Europäer*innen insofern den epistemischen Status von Autoritätsargumenten annehmen, als dass diese dazu konditioniert worden sind, der Naturwissenschaft eine bessere Prognosefähigkeit zuzusprechen als Orakeln, Privatoffenbarungen oder karmatischer Logik. Das mag sich im Alltag zwar bewährt haben, enthebt aber auch die beste Prognose nicht einer kontingenten Grunddisposition, die jede sichere Überprüfung ihres Wahrheitsgehalts im Hier und Jetzt weitgehend verunmöglicht.[17]

Olaf Scholz greift derlei Argumente gar nicht erst auf, seine Position ist ungleich bescheidener: Der Klimawandel ist real, der Prognostik ist zu trauen, auch hinsichtlich der Dringlichkeit besteht kein ernsthafter Widerspruch. Allerdings ist Scholz Politpraktiker und kein Aktivist, muss also konkrete Maßnahmen umsetzen und dabei (a) zwischen drei klimapolitisch heterogen aufgestellten Koalitionspartnern vermitteln, (b) Industrie, Gewerkschaften und andere Stakeholder ins Boot holen, (c) die öffentliche Meinung im Blick behalten und (d) außenpolitische Implikationen, rechtliche Schranken und technische Möglichkeiten bedenken. All dem gerecht zu werden heißt, dass er nicht blind sein darf für Komplexität und Dissens. Aus der kassandrahaften Wahrnehmung eines ohnmächtigen Wissens heraus mag das unzureichend erscheinen – es ist aber notwendig, will man sich nicht nur im leeren Protestgestus erschöpfen. Die romantische Selbststilisierung als Sand im Getriebe einer unverständigen Institutionenmaschinerie verpufft ohnehin, hat man erst einmal begriffen, dass auch das sandigste Getriebe noch immer den Steuerungsmechaniken und damit der immanenten Logik des Machbaren unterworfen bleibt.

Dass die Letzte Generation an solch einer Stilisierung festhält, ist indes verzeihlich; nicht aber, dass sie durch ihr hyperaggressives Einwirken auf politische Entscheidungsträger*innen institutionelle Aushandlungsprozesse hintertreibt und einem antidemokratischen Politikverständnis den Weg weist.[18] Ähnlich fällt auch der Befund des Philosophen Francisco Garcia-Gibson aus, der in einem kürzlich erschienenen Fachbeitrag eine Unterscheidung zwischen persuasive und coercive climate protests vornimmt. Während die einen auf den Grundsatz dialogischer Überzeugung abstellen, ist die Absicht der anderen, »to change other people’s behaviours or beliefs by threatening to impose costs on some of these people’s options.«[19] Ganz unabhängig davon, ob man Demokratie nun primär als Deliberationsmoment begreift oder mehr dem Konzept von Demokratie als Freiheit zuneigt, ist die koerzive Protestkategorie dabei als prima facie undemokratisch anzusehen. Im ersten Fall steht sie dem deliberativen Prinzip unmittelbar entgegen, im zweiten weist sie den Demonstrant*innen einen unverdienten Entscheidungsvorrang zu. Es gilt demnach: »[If] formally included climate protesters exert informal […] control over official decisions, they cannot be said to be engaging in democratic decision-making […].”[20]1

Befremdlicher als diese dezidiert undemokratische Grundierung ist einzig die Entschiedenheit, mit der die Letzte Generation der Idee anzuhängen scheint, die Zukunft des Weltklimas werde im Berliner Kanzleramt entschieden und die nötigen Transformationsprozesse könnten mit einem bloßen Federstrich schon irgendwie durchgesetzt werden. In seltsamem Kontrast zu dieser Vorstellung (wie auch zur Apokalyptik von Nahrungsmittelkämpfen auf Discounterparkplätzen) steht freilich die derzeitige Kernforderung der Bewegung nach einem sogenannten Essen-Retten-Gesetz.[21] Für solch tagespolitisches Klein-Klein hatte sich Scholz noch Vorwürfe anhören müssen, ging es den Aktivist*innen doch um nicht weniger als die Rettung des Planeten in toto. Nun aber begeben sie sich plötzlich selbst in die Untiefen des Politalltags, verteilen gestohlene Lebensmittel, beschäftigen sich mit Haftungsrechtsfragen und behindern neuerdings auch noch den Berliner Berufsverkehr.[22] Ob dies den erhofften Sinneswandel zeitigen kann oder lediglich die nächste Schwadron erregter Kleinbürger*innen zum »Jetzt-erst-recht«-Dieselkauf animiert, bleibt abzuwarten. Noch hält sich das öffentliche Verständnis jedenfalls sehr in Grenzen.

Hingegen scheint klar, dass das Handeln der Gruppe wohl am besten als übersteigert-erratische Bekenntnisperformanz zu verstehen ist. Die Heftigkeit, mit der tragende Pfeiler demokratischer Entscheidungskultur dabei zugunsten einer von Erlösungsfantasien durchsetzten Klimaeschatologie[23] abgeräumt werden, mag zwar irritieren, ist aber kaum im engeren Sinne überraschend; schließlich gehört ein gewisses Ausfasern der Ränder zu den Wachstumsschmerzen zahlreicher sozialer Bewegungen. Dennoch sind Hungerstreik, Kanzlerschelte und Autobahnprotest schon ihrem Symbolgehalt nach mehr als eine reine Umweltposse. In Zeiten, in denen anderswo munter von der »grünen RAF« fantasiert wird,[24] werfen sie vielmehr ein kritisches Schlaglicht auf das komplexe Beziehungsgefüge von Klima, Demokratie und Radikalismus. Was bedeutet es für die Gesellschaft, wenn ernsthafte Wissenschaft in den Dienst kruder Untergangsprophetien gestellt wird? Wie ist zu verhindern, dass Eskapismus als klimapolitischer Widerstandsakt gedeutet wird? Und wie lassen sich aktivistische Exzesse eindämmen, ohne die Sache selbst nachhaltig zu desavouieren? Fragen, die uns wohl noch einige Zeit beschäftigen dürften, zumindest, solange sich das Debattenklima im Gleichschritt mit dem der Erde aufzuheizen anschickt.

Literatur:
Berker, Lars/Pollex, Jan: Friend or foe? – comparing party reaction to Fridays for Future in a party system polarised between AfD and Green Party, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, Jg. 15 (2021), H.2, S. 165–183.

Bitschnau, Marco: Corona. Full House im Gesellschaftspoker, in: Corona & Society (Progressives Zentrum), 10.09.2020. URL: https://www.progressives-zentrum.org/corona-full-house-im-gesellschaftspoker/ [eingesehen am 10.02.2022].

Frasch, Timo: Klimaaktivisten blockieren zeitweise Straßen, 24.01.2022. URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/klimaaktivisten-blockieren-zeitweise-strassen-in-berlin-17748401.html [eingesehen am 10.02.2022].

Friedrich-Ebert-Stiftung: Kanzlerkandidat Olaf Scholz spricht mit Klima-Aktivist_innen von »Letzte Generation«, 12.11.2021. URL: https://www.fes.de/olaf-scholz-letzte-generation [eingesehen am 10.02.2022].

Garcia-Gibson, Francisco: Undemocratic Climate Protests, in: Journal of Applied Philosophy, online first. URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/japp.12548.

Kermode, Frank: The Sense of an Ending. Studies in the Theory of Fiction, Oxford 1967.

Koos, Sebastian/Lauth Franziska: Die gesellschaftliche Unterstützung von Fridays for Future, in: Haunss, Sebastian/Sommer, Moritz (Hrsg.): Fridays for Future – die Jugend gegen den Klimawandel: Konturen der weltweiten Protestbewegung, Bielefeld 2020, S. 205–226.

Letzte Generation: Die Erklärung der Hungerstreikenden der letzten Generation, in: hungerstreik2021, 30.08.2021, URL: http://hungerstreik2021.de/wp-content/uploads/2021/08/erklaerung-der-hungerstreikenden.pdf [eingesehen am 10.02.2022].

Luhmann, Hans-Jochen: Klima-GAU? Zwei Ansichten. Das Zwielicht ist produziert, in: Merkur, Jg. 53 (1999), H.2/599, S. 163–167.

Malm, Andreas: How to Blow Up a Pipeline. Learning to Fight in a World on Fire, London 2021.

Platon: Politeia. Siebentes Buch. Übersetzt von Wilhelm Wiegand, in: Platon’s Werke. Zehn Bücher vom Staate, Stuttgart 1855.

Rucht, Dieter/Sommer, Moritz: Fridays for Future. Vom Phänomen Greta Thunberg, medialer Verkürzung und geschickter Mobilisierung: Zwischenbilanz eines Höhenflugs, in: Internationale Politik, Jg. 74 (2019), H.4, S. 121–125.

Schaible, Jonas: »Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF«, 21.11.2021. URL: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/tadzio-mueller-wer-klimaschutz-verhindert-schafft-die-gruene-raf-a-5e42de95-eaf2-4bc1-ab23-45dfb0d2db89 [eingesehen am 10.02.2022].

Wallimann-Helmer, Ivo: The Liberal Tragedy of the Commons: The Deficiency of Democracy in the Light of Climate Change, in: Birnbacher, Dieter/Thorseth, May (Hrsg.): The Politics of Sustainability: Philosophical Perspectives, New York 2015, S. 20–35.

[1] Beide Zitate jeweils: Letzte Generation: Die Erklärung der Hungerstreikenden der letzten Generation, in: hungerstreik2021, 30.08.2021, URL: http://hungerstreik2021.de/wp-content/uploads/2021/08/erklaerung-der-hungerstreikenden.pdf [eingesehen am 10.02.2022].

[2] Friedrich-Ebert-Stiftung: Kanzlerkandidat Olaf Scholz spricht mit Klima-Aktivist_innen von »Letzte Generation«, 12.11.2021, URL: https://www.fes.de/olaf-scholz-letzte-generation [eingesehen am 10.02.2022].

[3] Während des Hungerstreiks zerfiel der ursprüngliche Aktivist*innenkern in zwei Teile, den radikaleren Aufstand der letzten Generation (dessen Mitglieder auch das Scholz-Gespräch führten) und den moderateren Aufbruch. Der Aufstand konnte seit Jahresbeginn 2022 etliche neue Mitglieder rekrutieren, wobei aber die Trennlinie zum bloßen Sympathisantentum bisweilen stark verwischt.

[4] Wie er u. a. in der Ablösung der seit sechzehn Jahren CDU-geführten Bundesregierung durch ein experimentelles Ampel-Bündnis zum Tragen kommt.

[5] Hierin liegt ein wesentlicher krisenphänomenologischer Unterschied zur COVID-19-Pandemie, die nicht etwa un-, sondern mit Masken und Lockdowns geradezu hyperplastisch ist. Vgl. Bitschnau, Marco: Corona. Full House im Gesellschaftspoker, in: Corona & Society (Progressives Zentrum), 10.09.2020. URL: https://www.progressives-zentrum.org/corona-full-house-im-gesellschaftspoker/ [eingesehen am 10.02.2022].

[6] Dass diverse Umweltereignisse klimapolitisch ausgedeutet werden, ist dabei kaum von Belang, stellt doch selbst die entschiedenste Ausdeutung keinen wirklichen Plastizitätsersatz da.

[7] Für empirische Befunde zu Parteipositionen (sehr positiv links der Mitte, verhalten positiv bei CDU und FDP, ablehnend nur im Fall der AfD) vgl. Berker, Lars/Pollex, Jan: Friend or foe? – comparing party reaction to Fridays for Future in a party system polarised between AfD and Green Party, in: Zeitschrift für Vergleichende Politikwissenschaft, Jg. 15 (2021), H. 2, S. 165­–183.

[8] Vgl. Koos, Sebastian/Lauth, Franziska: Die gesellschaftliche Unterstützung von Fridays for Future, in: Haunss, Sebastian/Sommer, Moritz (Hrsg.): Fridays for Future – die Jugend gegen den Klimawandel. Konturen der weltweiten Protestbewegung, Bielefeld 2020, S. 205–226.

[9] Rucht, Dieter/Sommer, Moritz: Fridays for Future. Vom Phänomen Greta Thunberg, medialer Verkürzung und geschickter Mobilisierung. Zwischenbilanz eines Höhenflugs, in: Internationale Politik, Jg. 74 (2019), H. 4, S. 121–125.

[10] Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: Kanzlerkandidat Olaf Scholz spricht mit Klima-Aktivist_innen (36:07).

[11] Letzte Generation: Die Erklärung der Hungerstreikenden.

[12] Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: Kanzlerkandidat Olaf Scholz spricht mit Klima-Aktivist_innen (41:13).

[13] Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung: Kanzlerkandidat Olaf Scholz spricht mit Klima-Aktivist_innen (ab 42:23).

[14] Denn, wie es im siebten Buch der Politeia (520e–521a) heißt: »Ja, sprach ich, so ist es, mein Freund, wenn du nämlich für die zur Herrschaft Bestellten noch ein glücklicheres Leben ausfindig machen wirst als das Herrschen, dann wird bei dir die Möglichkeit zu einer guten Staatsverwaltung vorhanden sein, denn nur in ihm herrschen die wahrhaftig Reichen, nicht die an Gold reich sind, sondern reich daran, woran der Glückselige reich sein muss: an einem tugendhaften und vernünftigen Leben.« Platon: Politeia. Siebentes Buch. Übersetzt von Wilhelm Wiegand, in: Platon’s Werke. Zehn Bücher vom Staate, Stuttgart 1855.

[15] Vgl. Wallimann-Helmer, Ivo: The Liberal Tragedy of the Commons. The Deficiency of Democracy in the Light of Climate Change, in: Birnbacher, Dieter/Thorseth, May (Hrsg.): The Politics of Sustainability. Philosophical Perspectives, New York 2015, S. 20–35.

[16] Vgl. Luhmann, Hans-Jochen: Klima-GAU? Zwei Ansichten. Das Zwielicht ist produziert, in: Merkur, Jg. 53 (1999), H. 2/599, S. 163­–167.

[17] Selbst radikalmöglichste Ausprägungen einer solchen Prognoseskepsis können folglich kaum als klimaskeptisch gelten, rekurrieren sie doch lediglich auf eine Kernschranke jedes Erkenntnisprozesses: Echte empirische Erkenntnis kann nie rein prognostische Erkenntnis sein.

[18] Das prozessuale Element ist hierbei von herausragender Bedeutung, da sich nach Ansicht der letzten Generation alle demokratischen Verfahrensregeln einem klimapolitischen Positionsprimat zu beugen haben.

[19] Vgl. Garcia-Gibson, Francisco: Undemocratic Climate Protests, in: Journal of Applied Philosophy, online first, URL: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/japp.12548, S. 3. Die Definition zielt explizit auf andere Formen radikalisierten Klimaprotests ab, der etwa Sabotageakte oder das Blockieren von Straßen miteinschließt. Sie kann aber auch auf den Hungerstreik der letzten Generation angewandt werden, da auch hier die Drohung (threat) mit einer Konsequenz (impose costs, hier politisch: Verantwortung für etwaige, sich aus der Drohung ergebende eigengesundheitliche Schäden) ausgesprochen wird.

[20] Ebd., S. 10–11. Es sei der Vollständigkeit halber angemerkt, dass Ausnahmen bestehen und Garcia-Gibson aus der undemokratischen Natur der Proteste nicht auf ihre moralische Qualität und Vertretbarkeit schließen will.

[21] Dabei sollen Supermärkte zur Spende ausgesonderter, doch noch genießbarer Lebensmittel verpflichtet werden.

[22] Frasch, Timo: Klimaaktivisten blockieren zeitweise Straßen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.01.2022. URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/klimaaktivisten-blockieren-zeitweise-strassen-in-berlin-17748401.html [eingesehen am 10.02.2022].

[23] Vgl. u. a. Kermode, Frank: The Sense of an Ending. Studies in the Theory of Fiction, Oxford 1967.

[24] Müller, Tadzio zit. nach: Schaible, Jonas: »Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF«, in: Spiegel Online, 21.11.2021. URL: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/tadzio-mueller-wer-klimaschutz-verhindert-schafft-die-gruene-raf-a-5e42de95-eaf2-4bc1-ab23-45dfb0d2db89 [eingesehen am 10.02.2022]. Vgl. dazu auch Malm, Andreas: How to Blow Up a Pipeline. Learning to Fight in a World on Fire, London 2021.