Debattenbeitrag: Über »Forschungsethik«
Nun soll keinesfalls behauptet werden, dass von der Medizinethik des frühen 20. Jahrhunderts und deren Versagen eine bruchlose Linie zu den »ethischen Kodizes« der Sozialwissenschaften gezogen werden kann – wer diese Erzählung hier so begreift, will die Autorin bewusst falsch verstehen. Durch die bruchlose Übernahme der Kodizes wird jedoch so getan, als wären sozialwissenschaftliche Forschungen mit medizinischen Experimenten gleichzusetzen. Das ist absurd, denn experimentelle medizinische Menschenversuche sind etwas grundlegend anderes als ein Interview oder eine Befragung.
Eines ist bis hierhin bereits deutlich geworden: Ein Blick auf die Wissenschaftsgeschichte lehrt, dass »ethische Grundsätze« für jedwede Rechtfertigung zu gebrauchen sind. Daher erscheinen uns die beständige reflexive und kritische Spiegelung der eigenen Arbeit und die gemeinsame lebendige Diskussion darüber, die letztlich auch eine gegenseitige aktive (Selbst-)Kontrolle ist, zielführender als die Befolgung starrer Regeln und Konventionen.
Der durch die A.L.I. propagierte »Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) und des Berufsverbandes der Soziologinnen und Soziologen (BDS)«[5] verhandelt das eingeforderte »informierte Einverständnis« der Beforschten unter Paragraf zwei, »Rechte der Probandinnen und Probanden« – wir würden immer sagen: Forschungspartner. Dort geht es im Wesentlichen um die Verantwortung des Forschers seinen Befragten gegenüber; thematisiert werden die Schweigepflicht sowie die Aufgabe des Soziologen, mögliche Nachteile für die Forschungspartner durch sein Agieren im Feld möglichst frühzeitig zu antizipieren und schützende Maßnahmen zu ergreifen, auch die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen der Persönlichkeitsrechte und schließlich die »informierte Einwilligung« werden in diesem Paragrafen behandelt. Diese informierte Einwilligung – und das geht aus dem gesamten Paragrafen hervor – hat jedoch die Erhebung, Speicherung und Verwendung der personenbezogenen Daten im Blick. Ein solcher Personenbezug liegt in der Interpretation des Bundesdatenschutzgesetzes dann vor, wenn »Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person« gemacht werden.[6]
Personenbezogene Daten, also bspw. die Verbindung von Klarnamen mit dem Organisationszusammenhang, Stationen der individuellen Biografie und Einkommensverhältnisse, mögen im Rahmen manch eines Forschungsprojektes sicherlich interessant sein, für die in der Forschungsstelle tätigen Wissenschaftler sind diese Informationen jedoch nicht relevant. Wie wir bereits in der ersten Ausgabe des Demokratie-Dialog beschrieben haben, interessieren wir uns für die wissenschaftliche Erforschung ›demokratiegefährdender‹ Tendenzen in der niedersächsischen Gesellschaft, nicht mit dem Ansinnen einer Stigmatisierung, sondern im Rahmen der Debatte und Konkretisierung von (demokratischen) Werten bzw. Verfahrensweisen: »Hierbei sind in einem umfassenden historisch-längsschnittartigen Zugriff ideologische, personelle und organisatorische Zusammenhänge ebenso zu berücksichtigen wie Mentalitäten, Deutungsmuster und Einstellungen der entsprechenden Akteure und Bewegungen. Im Zentrum steht die Erforschung aktueller Ausprägungen politischer Gewalt und Militanz, von Dissidenz, Radikalismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, mit innovativen, ertragreichen Methoden, um Entstehungszusammenhänge, Entwicklungsverläufe, Zerfalls- oder Progressionsprozesse analysieren und erklären zu können. Es sollen sich wandelnde Gesellschaftsentwürfe, Selbstverständnisse und Demokratiekonzepte unterschiedlicher gesellschaftlicher Akteure ebenso berücksichtigt werden wie die in der Forschungsstelle zu untersuchenden Analysebereiche: schwerpunktmäßig die Extreme Rechte, die Radikale Linke und religiös motivierte politische Gewalt, jeweils in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit.«[7]
Wir konzentrieren uns demzufolge auf die Aushandlung im öffentlichen Raum, die politische Meinungsbildung, die Entstehung von gesellschaftlichen Assoziationszusammenhängen, die Genese neuer politischer Forderungen oder alternativer Konzepte sowie auf Mechanismen und Ressourcen zur Durchsetzung derselben, ebenso auf Symbole, Traditionen, Strukturen, Ordnungen oder Ideologien von Gruppen. Im Rahmen der politischen Kulturforschung (in der Tradition von Karl Rohe) wollen wir in das Forschungsfeld eintauchen, Vorstellungen und Praktiken erfassen, quasi »Fremdverstehen« – ein Vorgang, der im Übrigen eine permanente Reflexion voraussetzt und somit die in Paragraf zwei des »Ethik-Kodex« angesprochenen Erwägungen stets mitbedenkt. Und ja, sicherlich interessieren wir uns in diesem Zusammenhang auch für biografische Hintergründe, individuelle Motivlagen der Akteure und Lebensläufe, aber eben auf der Aggregatebene, kumuliert, und nicht auf individuellem Niveau. Auch insofern spielen personenbezogene Daten in unserer Erhebung keine Rolle. Wenn sie jedoch quasi als Beifang bei unseren Forschungen zwangsläufig im Netz der Erhebungen landen, behandeln wir sie selbstverständlich auf der Grundlage gesetzlich geltender Bestimmungen und fachinterner Routinen, d.h. bspw., dass wir für die Weiterverarbeitung die Daten keinesfalls zusammen mit den Klarnamen aufbewahren; wir reduzieren schützenswerte Angaben in den Transkripten und speichern nur die für die Forschungsfragen notwendigen Informationen. Selbstverständlich geben wir die im Forschungsprozess gewonnenen Daten und Informationen nicht weiter und prüfen insbesondere vor der Veröffentlichung potenzielle Gefährdungen Einzelner. Dies ist im Übrigen keine Besonderheit von FoDEx, sondern die Maxime unserer qualitativen Forschung im Feld mit Parteivorsitzenden und Ortsvorstehern, mit Bewegungsunternehmern oder Internetaktivisten seit vielen Jahren.
Im »Ethik-Kodex« sowohl der Soziologie als auch der beinahe wortgleichen Variante der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft (DVPW) ist nicht nur das informierte Einverständnis gefordert, sondern dort heißt es auch: »Nicht immer kann das Prinzip der informierten Einwilligung in die Praxis umgesetzt werden, z.B. wenn durch eine umfassende Vorabinformation die Forschungsergebnisse in nicht vertretbarer Weise verzerrt würden. In solchen Fällen muss versucht werden, andere Möglichkeiten der informierten Einwilligung zu nutzen.« Wir haben aus unserer Tätigkeit nie ein Geheimnis gemacht, im Gegenteil: Frühzeitig machten wir mit einer Pressemitteilung auf die Arbeit der Forschungsstelle aufmerksam; durch den vorliegenden Demokratie-Dialog, wie auch in Bälde auf einer separaten Website[8], wurden und werden maßgebliche Informationen und erste Ergebnisse – entsprechend den Fortschritten der Forschungs- und Dokumentationsstelle – vorgestellt. Überdies haben wir allen Kritikern beständig das Gespräch und den Austausch angeboten.