Auch zu Beginn des Jahres 2022 nimmt die Zahl der Corona-Proteste nicht ab. Doch: Wer protestiert in ost- wie westdeutschen Städten und was braut sich da am rechten Rand derzeit zusammen? Und ist es überhaupt allein die radikale Rechte, die gegen die Corona-Politik aufbegehrt? Dazu gibt es unterschiedliche Einordnungen: Von manchen werden die Corona-Proteste als relativ kleine, lokal geprägte Protestformationen beschrieben, die durch altbekannte rechtsradikale Akteure mobilisiert werden.[1] Für andere gelten die Proteste und die weit gefasste Szene der Impfgegner inzwischen als eine in der Geschichte der Bundesrepublik bisher unbekannte rechtsradikale »Massenbewegung«[2], wie es der Publizist Micha Brumlik ausgedrückt hat. Für beide Einordnungen gibt es gute Argumente: Die erste bezieht sich vor allem auf die Proteste in Ostdeutschland und hat den Protesttourismus der immer gleichen rechtsradikalen Kader von »Spaziergang« zu »Spaziergang« vor Augen. Die zweite blickt übergeordnet auf die Protestdynamiken und das Mobilisierungsspektrum, das sich auch im Jahr 2022 – in Ost wie West – immer noch gemein macht mit Rechtsradikalen.

Im vorliegenden Beitrag werden die Corona-Proteste systematisch analysiert. Dazu werden die derzeit verfügbaren Forschungsdaten zusammengetragen und strukturiert. Im Anschluss werden die aktuell debattierten politischen Motivlagen der Corona-Protestierenden diskutiert.

Es scheint dabei, dass die Protestierenden aus ganz verschiedenen politischen Richtungen kommen, aber vor allem über den Antisemitismus zusammenfinden. Antisemitische Stereotype waren sowohl zur anfänglichen Protestmobilisierung als auch zur weiteren Radikalisierung, also zur demonstrativen Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, immanenter Bestandteil der Proteste und spielen eine elementare Rolle zur Vernetzung der verschiedenen Szenen. Es spricht viel dafür, dass sich innerhalb der Corona- und Impfgegner-Szene eine Libertäre Gesinnungsgemeinschaft von rechts herausgebildet hat, die sich im Laufe der weiteren Protestwellen immer weiter verfestigen und radikalisieren wird.

Corona-Proteste

Die Corona-Protestbewegung ist ein diverses Phänomen. Auf der einen Seite erprobt sie neue Formate, indem sie beispielsweise regelmäßige kleinteilige Proteste zu Ritualen verfestigt, die sich unter dem Deckmantel vermeintlich loser »Spaziergänge« bilden. Auf der anderen Seite bedienen sich die Corona-Proteste eines eher konventionellen Protestrepertoires, welches oftmals ein spezifisches Lokalkolorit offenbart: So wurden beispielsweise Kundgebungen und Demonstrationen im baden-württembergischen Konstanz mit gemeinsamen Meditationen beendet[3] – was auf die landespezifische tiefe Prägung durch Anthroposophie und Esoterik, aber auch pietistische Gemeinschaftsvorstellungen schließen lässt. Ein solches Format wäre im sächsischen Bautzen wohl kaum vorstellbar.

Die Corona-Protestbewegung besteht aus verschiedenen einzelnen Gruppierungen: In Niedersachsen werden die Proteste maßgeblich von den »Freien Niedersachsen« getragen, einer Gruppe, die sich im Dezember 2021 über Telegram gebildet hat und seither die verschiedenen Aktionen orchestriert. Beobachter sprechen von einer »Regionalisierung der Proteste«[4], da viele kleine Kundgebungen und Spaziergänge mit überschaubaren Teilnehmendenzahlen organisiert werden, um allein durch die quantitative Anzahl eine Mobilisierungswelle vorzutäuschen. Denn anders als bei den »Freien Sachsen«, dem direkten Vorbild der »Freien Niedersachsen«, finden die Spaziergänge in Niedersachsen aktuell zumeist nur wenig Anklang, können keine Massenbasis aufbauen und bilden keine gefestigten organisatorischen Strukturen aus.

Neu an der Corona-Protestbewegung ist die Protestmobilisierung: Denn die Proteste werden dezentral über soziale Medien und ganz verschiedene Plattformen organisiert. Das Bundesamt für Verfassungsschutz überblickt allein rund 600 Telegram-Kanäle.[5] Der Messenger-Dienst fungiert als zentrale Radikalisierungsmaschine. Wie neuere Forschungen zum Vernetzungscharakter über digitale Plattformen zeigen, sorgen besonders Telegram-Kanäle für eine Spiralwirkung, indem sie bereits bestehende Dispositionen verstärken und je nach Ausrichtung und Dynamik der Kanäle entsprechend beeinflussen.[6]

Die soziale Zusammensetzung der Protestierenden ist heterogen; sie kommen aus unterschiedlichen politischen Richtungen. Sie entstammen anthroposophisch-eso­terischen Zirkeln, lebensreformerischen und grün-alternativen Gruppen, aus dem Spektrum der radikalen Rechten, aus christlich-fundamentalistischen Kreisen bzw. pietistisch-evangelikalen Milieus. Teile davon formierten sich als regionale Gruppierungen bereits gegen urban-industrielle Großprojekte und atomare Aufrüstung und sind, wie der Politikwissenschaftler Claus Leggewie betont, nicht zuletzt Mutanten der DDR-Bürgerbewegung, die sich ebenfalls Montagsdemonstrationen bediente, auf die schon die Pegida-Aufmärsche Bezug nahmen.[7]

Die genaue Zusammensetzung der Protestierenden hängt von politisch-kulturellen Faktoren je nach Region ab: Im Osten sticht vor allem das Spektrum der radikalen Rechten hervor, das von Pegida und Neonazi-Kadern bis zur rechtsradikalen Kleinstpartei »Freie Sachsen« die Proteste trägt und prägt. Im Südwesten zeigt sich viel stärker eine Art Querschnitt der Bevölkerung: Wie Studien herausstellen, sind die regionalen Proteste vor allem in Baden-Württemberg weitgehend geprägt durch ein links-grünes Bürgertum und esoterische Milieus.[8] Im Nordwesten finden sich überwiegend Akteure aus dem rechten Lager zusammen. Soweit dies aktuell beurteilt werden kann, gibt es hier kaum übergeordnete Proteststrukturen.

Auch die Protestmotive sind relativ heterogen, sodass eine Einordnung auf einer Rechts-Links-Achse kaum möglich ist. Zudem würde eine solch eindimensionale Verortung vor allem lokale Spezifika nicht nur übersehen, sondern diese auch politisch durch den Akt der Etikettierung beeinflussen. Dieser Problematik entsprechend haben die Sicherheitsbehörden eine neue Beobachtungskategorie eingeführt: »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates«. Was eint aber Corona-Leugner, grün-alternative Esoteriker und Rechtsradikale? Woran liegt es, dass die politisch-kulturell bedingte Distanz zwischen den verschiedenen Spektren auf Demonstrationszügen aufgehoben wird? Überspitzt: Warum haben idealtypische Grünen-Anhänger kein Problem damit, zusammen mit Reichs- und QAnon-Fahnenträgern zu marschieren, wenn es um den Widerstand gegen die Corona-Politik geht? Die Corona-Protestierenden teilen kein gemeinsames politisches Programm. Sie finden durch eine zweifache Negation zusammen: Zum einen lehnen sie große Teile der Infektionsschutzpolitik ab. Zum anderen misstrauen sie – spektrenübergreifend – dem Staat und den politisch Handelnden. Wie das Forschungsteam um Sven Reichardt betont, bilden diese Punkte die elementaren Grundvoraussetzungen der Corona-Kritiker.[9]

Libertäre Gesinnungsgemeinschaft von rechts

Die Bedeutung der Corona-Proteste liegt vor allem in ihrer Funktion als neuartiger Sammlungsbewegung. Innerhalb der Protestströmung sammeln sich verschiedene politische Spektren und Milieus, die zuvor entweder noch nicht politisiert waren oder die zuvor überhaupt nicht zusammengefunden hätten. Erst durch den Akt des Corona-Protestes, vereinen sich die Menschen und bekennen sich zueinander. Denn schließlich verlangt dieser Bekenntnisakt, wahrscheinlich mehr noch als bei früheren Demonstrationen, zugleich eine offene Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft. Dies wiederum hat auch einen Effekt nach innen. Denn dadurch verstärken sich die Bindungen innerhalb der Protestbewegungen und die Gesinnungen schärfen sich. Gesinnungen sind, wie der Philosoph Andreas Dorschel treffend bemerkt, nicht einfach nur Überzeugungen. Sie sind vielmehr ein Bekenntnisakt und eine »Sache des Entschlusses«[10]. Und wenn sich Menschen mit ähnlichen Gesinnungen als Gleichgesinnte zusammenfinden, prägen sie sich nicht nur wechselseitig, sondern schärfen ihre Gesinnungen, sodass sich stabile Bindungen aufbauen.[11] Aus diesem Grund kann die neue Gemeinschaft, die sich derzeit in der Protestbewegung bildet, auch als Gesinnungsgemeinschaft bezeichnet werden.

Kennzeichnend für diese neue Gesinnungsgemeinschaft ist nicht nur die gemeinsame affektive gegenkulturelle Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, sondern auch der hohe Grad an Gruppenidentifikation. Innerhalb der Gemeinschaft gibt es kaum konkret-politische Auseinandersetzungen, sondern es reicht der Gesinnungs- und Bekenntnisakt. Dieser funktioniert oftmals über abstrakte Schablonen, wogegen bzw. wofür man ganz allgemein sei. Wer sich beispielsweise offen als »ungeimpft« und »unbeugsam« bekennt, kann sich zugleich auch als »Demokrat« und »Friedensdenker« inszenieren und damit Teil der Ikonografie einer ganzen Protestbewegung werden (siehe Bild 1). Die Pose des Corona-Protestierenden zeigt nicht nur den politischen Bekenntnisakt an sich, sondern verrät darüber hinaus den Stolz des inszenierten Widerstandskämpfers. Erst vor diesem Hintergrund wird verständlich, weshalb ein Bekenntnisakt zur Gemeinschaft zum politischen Akt an sich wird.

Teilnehmer einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen
Bild 1: Corona-Protest in München am 28.11.2021 (Bild: picture alliance/Sachelle Babbar)

Auffallend an diesem Bekenntnisakt ist darüber hinaus die Begriffspiraterie. Es werden Begriffe gekapert und zu Floskeln und Schlagwörtern entwertet, die als Signale zur Identifikation mit dieser Gemeinschaft ausreichen. Dies indizierte von Beginn an der Begriff des »Querdenkens«, der in Vor-Corona-Zeiten noch gänzlich anders konnotiert war. Es zeigt sich aber auch bei der vermeintlichen Freiheitsemphase der selbsternannten Hüter des Grundgesetzes, die letztlich nur ein autoritäres Aufbegehren rechtfertigen soll, wie man an der Widerstandsrhetorik gegen die vermeintliche »Corona-Diktatur« erkennt. Die Corona-Protestierenden wähnen sich als Opfer und inszenieren sich als Märtyrer – ohne diese inszenierte Opferrolle wäre die Pose des Widerstandskämpfers kaum denkbar. Letztlich eint diese Gesinnungsgemeinschaft inzwischen ein Misstrauen gegen staatliches Eingreifen in individuelle Freiheiten, wenn nicht sogar ein Grundmisstrauen gegen staatliche Ordnung und übergeordnete Strukturen, weshalb man sie auch als Libertäre Gesinnungsgemeinschaft von rechts bezeichnen kann.[12]

Antisemitismus und Verschwörungsmythen

Antisemitismus äußert sich in vielfältigen Formen und findet flexible Ausprägungen. Auch bei den Corona-Protesten spielt er eine zentrale Rolle und zeigt sich immer »offener, unverhohlener und ungehemmter«[13], war aber von Beginn an elementar als die alles verbindende ideologische Klammer.[14] Wie alle Krisen löst auch die Corona-Krise unzählige Unwägbarkeiten aus, die gesellschaftlich rationalisiert werden müssen: Es muss nach einer Erklärung für das bisher Unerklärliche gesucht werden. Das Virus ist eine abstrakte und unsichtbare Bedrohung – eine hochkomplexe Problemlage mit unklaren Lösungswegen – und verlangt eine enorme dauerhafte und fast schon tagesaktuelle (Neu-)Reflexion. Allein diese Komplexität und stete Widersprüchlichkeit machen einen nicht geringen Teil der Gesellschaft potenziell empfänglich für Verschwörungsmythen, versprechen diese doch eine relativ einfache Antwort auf komplexe Fragen. Verschwörungsmythen wiederum sind strukturell antisemitisch,[15] bzw. sie haben zumeist eine direkte oder indirekte antisemitische Konnotation. Wie repräsentative Untersuchungen zeigen, hat der Anteil an Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, im Zuge der Corona-Krise nicht zugenommen. Konstant hat knapp ein Viertel der Bevölkerung gewisse bis starke Dispositionen zu Verschwörungsmythen.[16] Die Corona-Krise verstärkt also die bereits bestehenden Affinitäten innerhalb eines gewissen Teils der Gesellschaft, führt aber nicht zwangsläufig zu einer gesellschaftlichen Verbreitung.

Die Corona-Krise führt offenbar zunächst einmal dazu, dass sich diejenigen zusammenfinden, die zwar aus unterschiedlichen politischen Richtungen kommen, aber zumindest affin sind für Verschwörungsmythen und dies auch nach außen bekennen. Auch insofern sind die Corona-Proteste Sammlungsbewegungen. Auffallend ist besonders die Varianz der Verschwörungsmythen: Vor allem zu Beginn der Pandemie 2020 wurde viel über den Ursprung des Virus spekuliert – ob es überhaupt existiere, ob es natürlich entstanden oder von Menschen gemacht sei. Eine weitere Variante von Verschwörungsmythen thematisiert die Funktion und den Nutzen der Pandemie und unterstellt dabei, dass gewisse Staaten durch die Ausbreitung des Virus profitierten. Das Virus könne etwa Mittel zum Zweck sein, damit einzelne Staaten politisch-ökonomisch auf dem Weltmarkt neue Wettbewerbsvorteile erhielten (bspw. China, je nach Auslegung aber auch die USA). Es könne aber auch ein Vorwand sein, um mit der Virus-Bekämpfung neue Maßnahmen auf dem Weg zum totalen Überwachungsstaat voranzubringen (bspw. Chip-Implementierung). Eine weitere Variante sieht im Virus lediglich einen Vorwand für politische Panikmache, entweder weil das Virus an sich geleugnet oder weil seine krankmachende Wirkung relativiert und mit einer simplen Grippe gleichgesetzt wird.[17] Entscheidend ist, dass diese verschiedenen, einander widersprechenden Verschwörungsmythen in den Kreisen der Corona-Protestbewegung als komplementär angesehen werden: Die unterschiedlichen Mythen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich wechselseitig. Darin liegt die eigentliche Dynamik, denn durch die Komplementarität verringern sich die politischen Distanzen der verschiedenen Vorstellungswelten. Eingefleischte Verschwörungsmystiker werden mit zuvor unpolitischen Menschen zusammengebracht, die zunächst eventuell nur lose Skepsis gegen die Corona-Politik und die staatlichen Maßnahmen hatten. In ihrer Wahnvorstellung, dass die Pandemie vielmehr eine »Plandemie« sei, also ein inszeniertes Schauspiel, finden alle zusammen. Aus diesem Grund spricht die Antisemitismusforscherin Juliane Wetzel beim Antisemitismus auch vom zentralen »Bindekitt« bei den Protesten.[18]

Antisemitische Vorstellungen sind aber auch zentral für die weitere Bindung in der Corona-Protest-Gemeinschaft. Denn die antisemitischen Verschwörungsmythen verstetigen sich und machen gewissermaßen resistent gegen immanente Widersprüchlichkeit – dadurch werden sie zu einem zentralen integrierenden Element für die Teilnehmenden.

Das Bundesland Nordrhein-Westfalen hat im Sommer 2021 einen »Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und Corona-Leugnern« vorgelegt. Darin wird ausführlich darlegt, dass antisemitische Stereotypen sowohl immanenter Bestandteil zur anfänglichen Protestmobilisierung als auch zur weiteren Radikalisierung, also zur demonstrativen Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft, waren.[19] Zusätzlich spielt diese Stereotypie aber auch eine elementare Rolle zur Vernetzung der verschiedenen Szenen.[20] Dem harten Kern der Corona-Protestbewegung, d. h. denjenigen, die regelmäßig auf den Straßen Seit an Seit mit Reichsfahnenträgern marschieren oder auf entsprechend einschlägigen Plattformen selbst aktiv sind, geht es bei den Verschwörungsmythen vor allem um die unterschwellige Vorstellung (ob bewusst oder unbewusst), dass gewisse »Mächte« hinter politischen Entscheidungen stehen oder diese maßgeblich beeinflussen. In diesem Umfeld grassieren verschiedene Formen projektiver Personalisierungen, wie beispielsweise die Vorstellung, dass einzelne mächtige Akteure maßgebliche Drahtzieher und/oder Profiteure der Corona-Krise seien (beispielsweise Bill Gates). Die weiteren antisemitischen Assoziationsketten müssen kaum weiter ausgeführt werden:[21] Denn von Bill Gates zu den Rockefellers ist es kein weiter Weg, wie man schon seit Jahren an den Feindbildern George Soros und der Familie Rothschild beobachten kann.[22]

Demonstration gegen die Coronamaßnahmen in der Innenstadt. Hannover, 16.05.2020
Bild 2: Corona-Protest in Hannover am 16.05.2020 (Bild: picture alliance/Geisler-Fotopress).

Die große Affinität zu antisemitischen Verschwörungsmythen wurde auch in repräsentativen Umfragen nachgewiesen: Ein übergroßer Anteil der Corona-Protestierenden glaubt beispielsweise an die Gefahr des »Großen Austauschs« und sieht die USA und/oder Israel als Urheber der Pandemie.[23] Die verschiedenen Narrative und Verschwörungsmythen haben gemeinsam, dass sie die Vorstellung rationalisieren, geheime und finstere Mächte würden im Hintergrund wirken. Diese würden entweder im Verborgenen daran arbeiten, die Welt umzubauen und zu lenken, womit der sogenannte »Great Reset« skandalisiert wird, oder sie hätten schon einen unsichtbaren Staatsapparat installiert, womit die Wahnvorstellung eines sogenannten »Deep State« verbunden ist. In beiden Fällen geht es um klandestine Machenschaften einer Geheimregierung von Finanz- und Industrie-Eliten. Wie der Theologe Matthias Pöhlmann darlegt, ist dieser Wahn ganz entscheidend, um das diffuse Spektrum aus »Esoterikern, Verschwörungsideologen und Rechtsextremisten«[24] zu verbinden.
Auch wenn die Corona-Proteste nicht von Anfang an ein rein rechtsradikales Projekt gewesen sind und die Protestierenden politisch nicht nur aus dem politisch rechten Spektrum kommen, liegt die übergeordnete Bedeutung der Proteste darin, dass die von Pöhlmann beschriebenen Richtungen in ihnen zusammenfinden. Die Entwicklung der Corona-Proteste zeigt, dass Rechtsradikale zunehmend die Protestorganisation übernehmen und den Straßenprotest damit maßgeblich prägen.[25] Dadurch verändern und radikalisieren sich die Proteste. Denn diejenigen Protestierenden, die aus anderen politischen Spektren kamen und jetzt Seit an Seit mit Rechtsradikalen marschieren, können aufgrund des identitätspolitischen Tribalismus infolge der schwindenden politischen Bindungskräfte von Milieus und Parteien kaum mehr die Fronten wechseln. In dieser Spirale manifestiert sich die Gesinnungsgemeinschaft zunehmend.

Ausgang offen

Die Corona-Krise polarisiert wie wohl nur wenige Ereignisse in der bundesrepublikanischen Geschichte zuvor. Schließlich beeinträchtigt und verändert die Infektionsschutzpolitik das soziale und gesellschaftliche Miteinander in einem noch nie dagewesenen Umfang. Politische Kritik an diesen Maßnahmen steht vor der Herausforderung, sich nicht in etatistischer oder technokratischer Manie aufzulösen, ist aber auch nicht gefeit vor autoritärer Rebellion. Es muss auch legitim sein, reflektierte Kritik an der Infektionsschutzpolitik üben zu können, aber wer sich auf den Straßen gemein macht mit Reichsbürgern und QAnon-Anhängern oder mit gelbem Stern marschiert, weil sich die Ungeimpften als neue Juden stilisieren und damit dem Antisemitismus offen frönen, büßt diesen Anspruch ein.

Die Corona-Proteste sind derzeit noch eine rein außerparlamentarische Bewegung und haben noch keine parteipolitische Entsprechung gefunden. Zwar sind mehrere Kleinstparteien (Die Basis, Widerstand 2020 etc.) entstanden, diese konnten sich aber ebenso wenig als Protestrepräsentant durchsetzen wie die AfD.[26] Nur in einzelnen Fällen werden die regionalen Proteste von AfD-Politikern gesteuert. Wie sich die Corona-Proteste weiterentwickeln, lässt sich derzeit noch nicht einschätzen und hängt von vielen Faktoren ab. Wie bei Protestbewegungen üblich, wird es auf die Ausdauer der außerparlamentarischen Bewegung ankommen; aber auch darauf, ob sich eine Partei als Repräsentanz letztgültig durchsetzt und dann die Proteste entsprechend prägt. Nicht zuletzt wird es ausschlaggebend sein, wie sich die Corona-Pandemie weiterentwickelt, welche Sprengkraft weiterhin in dem Thema liegen und wie die Politik die Infektionsschutzpolitik weiter forcieren wird (Stichwort Impflicht). Es lässt sich aber schon absehen, was passiert, wenn die Proteste ungebrochen weitergehen. Denn je mehr sich dieses lokal-ungebundene Milieu der Corona-Protestierenden weiter verfestigt, desto enger werden – begünstigt durch die Möglichkeiten sozialer Medien und digitaler Gegenöffentlichkeiten – die Bindungen dieser libertären Gesinnungsgemeinschaft von rechts und umso mehr entfernt sich dieses Milieu in seiner affektiven gegenkulturellen Abgrenzung damit von der Mehrheitsgesellschaft. In dieser zunehmenden Gegenkulturalisierung liegt nicht nur die Gefahr einer weiteren Radikalisierung, sondern auch die Perpetuierung einer Gesinnungsgemeinschaft, die nicht mehr nur das Corona-Thema zur Abgrenzung braucht, sondern darüber hinaus protest-thematisch flexibel agieren kann. Die Libertäre Gesinnungsgemeinschaft von rechts wird dann ggf. auch nach Corona mit einem neuen passenden Protest-Mobilisierungsthema direkt weitermachen. Der Antisemitismus jedenfalls wird weiterhin eine zentrale Rolle dabei spielen.


Literatur:

Bitschnau, Marco: Konspirative Manöver. Verschwörungstheorien in der COVID-19-Pandemie, in: INDES, H. 4/2020, S. 113–123.

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Frei, Nadine/Nachtwey, Oliver: Quellen des »Querdenkertums«. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Basel 2021.

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Holzer, Boris/Koos, Sebastian/Meyer, Christian/Isabell, Otto/Panreck, Isabelle-Christine/Reichardt, Sven: Einleitung. Protest in der Pandemie, in: Reichardt, Sven (Hrsg.): Die Misstrauensgemeinschaft der »Querdenker«. Die Corona-Proteste aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive, Frankfurt a. M. 2021, S. 7–26.

Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, 21.Auflage, Frankfurt a. M. 1988.

Lelle, Nikolas: Die üblichen Verdächtigen. Antisemitismus bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, in: Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Einsicht 2021. Bulletin des Fritz Bauer Institut, Jg. 13 (2021), Ausgabe 22, S. 56–64.

Leggewie, Claus: Das banale Nichts, in: FAZ, 18.12.2021, URL: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/der-politische-nihilismus-der-querdenker-bewegung-17689657.html [eingesehen am 28.02.2022].

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Sundermeyer, Olaf: Das Ende der »Querdenker«, wie wir sie kennen, in: rbb, 25.05.2021, URL: https://www.rbb24.de/politik/thema/corona/beitraege/2021/05/analyse-querdenker-bewegung-demonstrationen-berlin-pfingsten.html [eingesehen am 16.02.2022].

Trammer, Michael: Als Spaziergang getarnt, in: taz, 20.12.2021, URL: https://taz.de/Rechtsextreme-Demos-in-Niedersachsen/!5820822/ [eingesehen am 28.02.2022].

Wetzel, Juliane: Antisemitismus – Bindekitt für Verdrossene und Verweigerer, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Querdenken. Protestbewegung zwischen Demokratieverachtung, Hass und Aufruhr, Berlin 2021, S. 55–75.

[1] Siehe beispielsweise Sundermeyer, Olaf: Das Ende der »Querdenker«, wie wir sie kennen, in: rbb, 25.05.2021, URL: https://www.rbb24.de/politik/thema/corona/beitraege/2021/05/analyse-querdenker-bewegung-demonstrationen-berlin-pfingsten.html [eingesehen am 16.02.2022].

[2] Brumlik, Micha: Virus gegen Geschichtsbewusstsein, in: taz, 17.12.2021, URL: https://taz.de/Analyse-der-Coronaproteste/!5822361/ [eingesehen am 28.02.2022].

[3] Holzer, Boris et al.: Einleitung. Protest in der Pandemie, in: Reichardt, Sven (Hrsg.): Die Misstrauensgemeinschaft der »Querdenker«. Die Corona-Proteste aus kultur- und sozialwissenschaftlicher Perspektive, Frankfurt a. M. 2021, S. 7–26, hier S. 14.

[4] Trammer, Michael: Als Spaziergang getarnt, in: taz, 20.12.2021, URL: https://taz.de/Rechtsextreme-Demos-in-Niedersachsen/!5820822/ [eingesehen am 28.02.2022].

[5] Fuchs, Christian et al.: Übel und gefährlich, in: Die Zeit, 22.12.2021, S. 4.

[6] Vgl. Ng, Hui Xian Lynnette/Loke, Jia Yuan: Analysing public opinion and misinformation in a COVID-19 Telegram group chat, in: IEEE Internet Computing, Jg. 25 (2021), H. 2, DOI: 10.1109/MIC.2020.3040516.

[7] Leggewie, Claus: Das banale Nichts, in: FAZ, 18.12.2021, URL: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/der-politische-nihilismus-der-querdenker-bewegung-17689657.html [eingesehen am 28.02.2022].

[8] Frei, Nadine/Nachtwey, Oliver: Quellen des »Querdenkertums«. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Basel 2021, S. 62.

[9] Holzer: Einleitung. Protest in der Pandemie, S. 18.

[10] Dorschel, Andreas: Gesinnung, in: Merkur, Jg. 76 (2022), H. 872, S. 83–87, hier S. 84.

[11] Die »Wissensparallelwelten« (Sven Reichardt) sorgen zusätzlich für eine Selbstidentifikation als Eingeweihte, was die Bindungen untereinander abermals stärkt.

[12] Vgl. zur Libertarismuseinordnung bereits Frei/Nachtwey: Quellen des »Querdenkertums«, S. 22 f.

[13] Lelle, Nikolas: Die üblichen Verdächtigen. Antisemitismus bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, in: Fritz Bauer Institut (Hrsg.): Einsicht 2021. Bulletin des Fritz Bauer Institut, Jg. 13 (2021), Ausgabe 22, S. 56–64, hier S. 56.

[14] Benz: Querdenken, S. 13.

[15] Statt vieler, siehe nur die Thesen zum Antisemitismus in der »Dialektik der Aufklärung«. Darin heißt es zum Ende: »Nicht erst das antisemitische Ticket ist antisemitisch, sondern die Ticketmentalität überhaupt.«, Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a. M. 1988, S. 217.

[16] Einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zufolge halten 8 Prozent der Bevölkerung die Aussage über eine Weltverschwörung (»Es gibt geheime Mächte, die die Welt steuern.«) für sicher richtig und weitere 16 Prozent halten die Aussage für wahrscheinlich richtig, siehe Roose, Jochen: Verschwörung in der Krise. Repräsentative Umfragen zum Glauben an Verschwörungstheorien vor und in der Corona-Krise, Berlin 2020, S. 3.

[17] Siehe zur Klassifizierung der verschiedenen Verschwörungsvarianten Bitschnau, Marco: Konspirative Manöver. Verschwörungstheorien in der COVID-19-Pandemie, in: INDES, H. 4/2020, S. 113–123, hier S. 114 f.

[18] Wetzel, Juliane: Antisemitismus – Bindekitt für Verdrossene und Verweigerer, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Querdenken. Protestbewegung zwischen Demokratieverachtung, Hass und Aufruhr, Berlin 2021, S. 55–75.

[19] Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen: Sonderbericht zu Verschwörungsmythen und Corona-Leugnern, Mai 2021.

[20] Vgl. Wetzel: Antisemitismus – Bindekitt für Verdrossene und Verweigerer, S. 70 f.

[21] Lelle: Die üblichen Verdächtigen, S. 60.

[22] Siehe dazu ausführlicher Pöhlmann, Matthias: Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen, Freiburg 2021, S. 29; Wetzel: Antisemitismus – Bindekitt für Verdrossene und Verweigerer, S. 73.

[23] Grande, Edgar et al.: Alles Covididioten? Politische Potenziale des Corona-Protests in Deutschland, WZB-Discussion-Paper ZZ 2021-601, Berlin 2021, S. 24.

[24] Pöhlmann: Rechte Esoterik, S. 16.

[25] Vgl. Sundermeyer: Das Ende der »Querdenker«, wie wir sie kennen.

[26]Vgl. Finkbeiner, Florian: Niedersächsische Rechtsparteien in Corona-Zeiten, in: Demokratie Dialog 9/2021, S. 54–62.