Der Forschungsalltag in der Beschäftigung mit dem radikalen Islam ist häufiger von der Auseinandersetzung mit ernsten Themen geprägt. Es geht um grundlegende Konflikte, bisweilen auch um Akteure, die als »Gefährder« eingestuft werden, denen eine hohe Strahlkraft u.a. durch ihre Videos im Internet zugeschrieben wird und deren Einfluss insbesondere auf Jugendliche katastrophale Folgen haben kann.[1] Gerade deswegen ist es umso erfrischender, wenn die*der Wissenschaftler*in auf Aspekte stößt, die nicht nur zum Staunen, sondern auch – von den Macher*innen in der Regel unbeabsichtigt – zum Lachen verleiten. Auf ein aktuelles Beispiel – einen noch brodelnden Konflikt zwischen zwei Akteursgruppen, dessen Austragung man so sonst eher in einer ARD-Mittagstelenovela erwarten würde – soll in diesem Kommentar eingegangen werden. Denn vielleicht kann auch eine bewusst überspitzte Betrachtungsperspektive der oft bedrohlich-besorgniserregenden Wirkung dieser Akteure etwas entgegensetzen: eine Erinnerung an ihre Fehlbarkeit.

Der eine groß, korpulent, mit Halbglatze, dichtem grauen Bart und altmodischer Brille, oft in seinem olivgrünen Militärparka, auf dessen rechtem Ärmel ein schwarzer Aufnäher mit der Schahada, dem muslimischen Glaubensbekenntnis, prangt; der andere agil, muskulös, mit kurzgeschorenen dunklen Haaren und gestutztem schwarzen Bart, mal mit, mal ohne leicht spießige Brille auf der Nase und gelegentlicher First Responder der Medienplattform »Im Auftrag des Islam« (IADI). Es geht zum einen um Bernhard Falk, alias Muntasir bi-llah, einen mittlerweile 53-jährigen deutschstämmigen Konvertiten, über dessen Philosophie und Einstellungen stundenlange YouTube-Videos Auskunft geben; und zum anderen um Yasin Bala (etwa 35), aka Yasin al-Hanafi, einen Muslim mit türkischen Wurzeln, ebenfalls Hobby-YouTuber und selbsternannter »bekannte[r] Prediger aus Göttingen, […] der auch als »DAS GESICHT AUS GÖTTINGEN« viel Aufmerksamkeit gewinnt«[2] und der seit über drei Jahren aktives Mitglied von IADI ist.[3]

Die beiden scheinen auf den ersten Blick nicht viel mehr gemein zu haben als ihre Vorliebe für melodramatische Videoeinleitungen. Insbesondere al-Hanafi trauert wohl noch seiner verpassten Karriere als Videoeditor nach: Seine Intros dauern teils länger als eine Minute und erinnern eher an Filme von Michael Bay, als thematisch zur islamischen Glaubenslehre hinzuführen.[4] Der bombastische Einstieg in die Videos steht bei beiden leider meist im Kontrast zum Rest; man kann es beeindruckend finden, wenn Menschen dazu in der Lage sind, mehr oder weniger frei sprechend und größtenteils ohne Schnitte länger als eine Stunde Feinheiten der islamischen Glaubenslehre oder alltagspolitische Themen zu kommentieren.[5] Die Monotonie der Vorträge wirft allerdings die Frage auf, wie viele Rezipient*innen sich diese wirklich bis zum Ende anschauen.

Doch wie hängen die Akteure nun zusammen? Von Falk finden sich mehrere Beiträge auf IADI-Portalen – sowohl in Form von Videos als auch verfassten Texten; einige seiner Videos führen werbewirksam das IADI-Logo bzw. beginnen mit IADI-Intros oder zeigen ihn im Gespräch mit bin Abdullah oder Azad. Um seine deutschlandweiten Reisen zu Prozessen und Vollzugsanstalten zu finanzieren, ist Falk auf Spenden angewiesen. Laut Falk sei zwar keine finanzielle Unterstützung vonseiten IADIs geflossen;[6] dennoch ist es wahrscheinlich, dass er von der Werbung, die IADI für ihn direkt oder indirekt machte, auch finanziell profitiert haben wird. Falk hingegen wurde gelegentlich von bin Abdullah und Azad, manchmal auch von al-Hanafi, bei seinen Reisen durchs Land begleitet[7] oder sie nahmen an seinen Kundgebungen teil.[8]

Insgesamt kooperierten Falk und IADI beträchtliche acht Jahre, vielleicht sogar länger. Doch in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 begannen sich Differenzen abzuzeichnen, die binnen weniger Wochen zum Bruch führten. Die den Videouploads stets inhärente, dramatisch überzeichnete Konfliktlinie zieht sich nicht länger allein entlang der Gemeinschaft der »wahren« Muslim*innen und (wahlweise) der deutschen Mehrheitsgesellschaft/den global agierenden Imperialist*innen/Zionist*innen/Kuffar (Ungläubigen) allgemein. Nein, auch zwischen Falk und IADI ist die Kluft inzwischen definierter als al-Hanafis Oberarmmuskeln.[9] Es gibt »Beef«.

Man könnte nun annehmen, dass diese gestandenen Herren durchaus in der Lage sind, ihren Konflikt halbwegs zivil über die Bühne zu bringen, insbesondere, weil sich beide Seiten stets so viel Mühe geben, zu betonen, dass es sich als Muslim*in nicht gehöre, schlecht über andere Menschen und besonders über andere Muslim*innen zu sprechen. Stattdessen entschieden sich beide Seiten für einen bisweilen leicht präpubertär wirkenden Schlagabtausch über Youtube, Facebook und Telegram.

Unsere Kontrahenten: Wer gegen wen?

Bernhard Falk

Alle hier genannten Akteure engagieren sich bereits seit Jahren – in Falks Fall Jahrzehnten – auf ihre spezielle Weise für die muslimische Umma (Gemeinschaft) in Deutschland. Der Schwerpunkt des 1967 in der Nähe von Hamburg geborenen Falk liegt auf der, wie er es nennt, »Gefangenenhilfe« für terrorverdächtigte und verurteilte Muslim*innen in Deutschland und der Befeuerung des »authentischen islamischen Widerstandes in der BRD«[10] als Teil einer global agierenden Bewegung. Wirft man einen Blick in seine Social-Media-Kanäle, insbesondere den Telegram-Channel »Falk Aktuell«, sieht man fast täglich Updates zu »muslimischen politischen Gefangenen«[11], deren Handlungen er als Teil dieses Widerstands auslegt, als ein religiös motiviertes Auflehnen gegen (vorrangig) Imperialismus und Zionismus.[12] Falk informiert über deren Lage und ruft zu Solidarität auf.

Bernhard Falk, hier während einer von ihm begleiteten und über seine Kanäle beworbenen Demonstration gegen die US-Airbase Ramstein. Quelle: https://twitter.com/FalkBernhard/status/741773173092438016/photo/1 [eingesehen am 07.02.2020].

Das erste Mal von sich hören ließ er jedoch bereits in den 1990er Jahren. Ein ehemaliger Klassenkamerad und er agierten als linksterroristisch eingestufte und von Sicherheitskreisen aufgrund ihrer Aktivität zeitweise zahlenmäßig stark überschätzte »Gruppe« »Antiimperialistische Zellen« (AIZ).[13] Die beiden sahen sich als militante RAF-Nachfolger, die zwischen 1992 und 1995 insgesamt neun Brand- und Sprengstoffanschläge verübten, für die sie zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Noch vor seiner 13-jährigen Haft konvertierte Falk zum sunnitischen Islam und nahm den Namen »Muntasir bi-llah« an. Ein erkennbarer Wandel seiner Einstellungen zu Politik und Gesellschaft ging damit allerdings nicht einher, wie auch seine Ausdrucksweise deutlich macht, die nach seiner Konversion schlicht einen islamischen Anstrich bekommt. So richtet sich seine politische Kritik stets an den »Staatsapparat« der »BRD«, das Beharren auf der expliziten Unterscheidung »Ost-« oder »Westberlins« und auch regelmäßige Themen seiner Videos wie strukturell bedingte Lohnungerechtigkeit, Kapitalismus-, Nationalismus- und generell Imperialismuskritik lassen auf seine ideelle Vergangenheit rückschließen.

2008 wurde Falk aus der Haft entlassen. Seitdem hat er sich einen Ruf in der Szene aufgebaut. Er stattet Gefangenen bundesweit Besuche ab, ob als Prozessbeobachter oder in der Justizvollzugsanstalt, und wirkt so Resozialisierungs- und Aussteiger*innenprogrammen entgegen. Er ist als »Gefährder« eingestuft, ihm werden immer mal wieder Verbindungen zu Al-Qaida nachgesagt, sogar, dass er für die Terrororganisation rekrutiere, was ihm allerdings bisher nicht nachgewiesen werden konnte.[14]

Im Auftrag des Islam

IADI begann sich etwa 2007 im nordhessischen Sontra um den Prediger Furkan Karacar (genannt Furkan bin Abdullah) zu bilden, der zu diesem Zeitpunkt begann, Koranunterricht zu geben. Zu den drei präsentesten Figuren von IADI zählen neben bin Abdullah noch der gebürtige Bayer »Azad«, der vermutlich kurdische Wurzeln hat,[15] – beide ebenfalls als »Gefährder« gelistet – und der eingangs bereits erwähnte Yasin al-Hanafi.[16]

Die Videos dieser Gruppe drehen sich größtenteils um die islamische Glaubenslehre, gelegentlich durchmischt mit Uploads zu politischen Ereignissen mit einem bisweilen wahrnehmbaren Unterton verschwörungstheoretischer Motive. Zentral ist für sie neben einem ausgeprägten Anti-Kemalismus (also dem Ablehnen der laizistischen, republikanistischen und nationalistisch ausgeprägten Gründungsideologie der Republik Türkei) die strikte Ablehnung des demokratischen Systems, das sie als im Widerspruch stehend zur islamischen Glaubenslehre sehen. Als ihre drei Grundprinzipien bezeichnen sie »Tauhid« (den Glauben an den einen Gott), »Sunna« (den Glauben an Mohammed und die Befolgung seiner Handlungsweisen) und den Aufbau des »Kalifat« (für sie ein von einem Kalifen geführtes islamisches Reich mit der Scharia als Gesetzgebung).[17]

Der gebürtige Göttinger al-Hanafi betreibt bereits längere Zeit Da’wa, also islamische Missionsarbeit, und hatte bis Mai 2018 zwei mittelmäßig frequentierte YouTube-Channels[18]. Er war oder ist eng verbunden mit der seit einiger Zeit theoretisch verbotenen, praktisch aber vermutlich immer noch betriebenen Kaplan-Moschee in der Göttinger Weststadt und ist seit etwa 2017 aktives Mitglied von IADI.

Sontraer #bromance: bin Abdullah, al-Hanafi und Azad (v.l.n.r.) und eine Weltkarte mit ihrer Vorstellung des islamischen Kalifats im Hintergrund, die man von der IADI-Website herunterladen kann. »Akhi« heißt Bruder, »Ikhwa« heißt Brüder – bei »Akhis« wurde sich wohl für das englische Plural-S entschieden. Quelle: https://www.instagram.com/p/B7N7DRoDg5b/ [eingesehen am 06.02.2020].

Peripetie: Trouble in Paradise

Zwischen Falk und IADI-Mitgliedern gab es jährlich mehrere Treffen.[19] Beide Seiten betonen, dass man dabei stets das größere Ganze, also die Förderung der Umma, im Sinn gehabt habe, weswegen sich andeutende islamtheologische Konflikte direkt im Aufkommen erstickt worden seien, um die Zusammenarbeit nicht zu gefährden, die schließlich der globalen Gemeinschaft der Muslim*innen diene. Laut Falk hätten beide davon profitiert: er von den Film- und Videoediting-Skills, IADI von Falks Bekanntheitsgrad.[20] Auf den Kanälen beider Seiten findet man unter der Rubrik »Bilder« zwischen Koranzitaten und Legionen erhobener Zeigefinger[21] zudem Fotos von einem gemeinsamen Türkei-Aufenthalt und eher privaten Begegnungen.[22]

Der sich im letzten Jahr entspinnende Konflikt erinnert nun fast an ein klischeebeladenes High-School-Drama: Das Kennenlernen von Falk und bin Abdullah habe auf dessen Hochzeit 2011[23] in Göttingen stattgefunden. Doch habe es nicht sofort gefunkt. Falk stand damals noch der inzwischen verbotenen Organisation Millatu Ibrahim nahe, mit denen bin Abdullah jedoch nichts anfangen konnte; Falk hingegen fand bin Abdullah unsympathisch, da sich dieser nicht solidarisch mit von den Sicherheitsbehörden beobachteten Muslim*innen gezeigt habe. Ein Jahr später habe er dennoch »Annäherungsversuche«[24] gestartet, weil sich sein bisheriger Videomacher, Reda Seyam,[25] dem sogenannten Islamischen Staat in Syrien angeschlossen hatte und er nun Ersatz brauchte. Und so begann die Zusammenarbeit, bis 2017 mit al-Hanafis Dazustoßen Sand ins Getriebe geriet.

Falk habe den extrovertierten und lauten Neuzugang von Anfang an als unseriösen Entertainer ohne ernstzunehmende islamische Expertise abgelehnt und bin Abdullah vor dessen Einfluss gewarnt, denn dieser sei schließlich noch bis vor Kurzem Teil einer konkurrierenden Göttinger Plattform gewesen (vermutlich spielt er hier auf die Kaplan-Moschee an). Doch dieser habe augenscheinlich nicht auf ihn gehört. Derweil habe die »Sektiererei der Sontranis […] groteske, unerträgliche«[26] Formen angenommen; die Gruppe sei mittlerweile zu tief in Hochmütigkeit abgerutscht, als dass Falk sich noch länger mit ihnen hätte assoziieren können – seine Fans würden sich schon über die Zusammenarbeit echauffieren.[27]

Um die Trennung zu vollziehen, grub er in einem Posting vom 22. Juli bzw. 13. August 2019 das Kriegsbeil »unüberwindbare Aqida-Differenzen« aus, indem er die Vortragsreihe des Predigers »Sheikh Abdellatif« bewarb, dessen Meinungen an einigen Stellen konträr zu denen IADIs zu verorten sind.[28] Abdellatif verweist in seinen Beiträgen auf den mittelalterlichen islamischen Gelehrten al-Barbahari, den Falk in eine Linie mit Ibn Taimīya (1263–1328) und Ibn ʿAbd al-Wahhāb (1703–92) stellt. Das ist relevant, weil sich Falk mit diesem Posting eindeutig zum Wahhabismus (bzw. Salafismus) bekennt, was er, bin Abdullah zufolge, zuvor nie in dieser Deutlichkeit getan habe.[29] Salafist*innen ordnen sich in der Regel entweder keiner Rechtsschule zu, da sie den direkten Bezug auf Koran und Sunna vorziehen, oder aber sie sind Anhänger*innen der hanbalitischen Rechtsschule. IADI hingegen folgen der hanafitischen Rechtsschule und zudem der Aqida der maturidischen Schule, deren Glaubensvorstellungen in einigen Punkten konträr zu denen von Salafist*innen stehen.

Nachdem es laut Falk einige »erregte«[30] Anrufe von bin Abdullah gegeben habe, folgt die erste offizielle Videoreaktion am 10. September von al-Hanafi, zunächst noch ohne zentralen Bezug auf Falk, allerdings in einem Tonfall, bei dem ein Mic Drop al-Hanafis am Videoende nicht überrascht hätte. In dem Video wird der von Falk ins Spiel gebrachte Prediger »Sheik Abdellatif«, wie al-Hanafi sagen würde, »rasiert«.[31] Al-Hanafi konzentriert sich darin einerseits auf dessen Ausführungen zur Aqida. Zentral für Salafist*innen ist die Ablehnung jeglicher philosophischer Spekulation über den Glauben – dazu gehören auch Spekulationen über Eigenschaften Gottes, bspw. über dessen Hand, was den Fokus in al-Hanafis Video zu Abdellatif auf dieses Thema erklärt. Andererseits kann al-Hanafi es nicht lassen, abfällige Kommentare zu Abdellatifs Person einfließen zu lassen.[32] Knapp drei Wochen später meldet sich auch bin Abdullah zu Wort[33] und spricht offen über die vergangenen Jahre mit Falk und den nun erfolgten Bruch. Falk distanziert sich indes in einem Reaktionsvideo vom 3. Dezember 2019 retrospektiv auch emotional von IADI.[34]

Bleibt man bei der eingangs erwähnten Telenovela-Assoziation, lassen sich die Inhalte der ab August hochgeladenen, charakteristisch langatmigen Videos sowie die abseits von YouTube auf anderen Kanälen öffentlich ablaufende Kommunikation folgendermaßen zusammenfassen: IADI präsentiert sich wie ein verletzter Verflossener, der das neue Herzblatt des Ex abwertet und empört auf die gemeinsame schöne Zeit verweist. Man habe sich schließlich immer an die Abmachung, die Beziehung nicht durch Debatten um Kleinigkeiten der Glaubenslehre zu gefährden, gehalten. Die Verbindung wird insbesondere von bin Abdullah als eng und persönlich beschrieben, wie auch die vielen gemeinsamen Bilder zeigen würden.[35] Falk wiederum erklärt, fast mitleidig, die unterstellte Nähe habe es nie gegeben und sei seinerseits auch nie gewünscht gewesen; es habe sich um eine reine Zweckbeziehung gehandelt, aus der beide ihre Vorteile gezogen hätten. Nüchtern konstatiert er: »Die Terminfülle in meinem täglichen Leben lässt es nicht zu, dass ich mit Brüdern tagelang abhänge.«[36] Zu den gemeinsamen und hauptsächlich von IADI verbreiteten Fotos sagt er schlicht, »die im Vergleich dazu öffentlich völlig überproportional verbreiteten Fotos von meinen Treffen mit den Sontranern führten zu Spekulationen und vor allem zu falschen Schlussfolgerungen«[37] – ein klassisches Beispiel dafür, warum es so wichtig ist, die Ansprüche und Wünsche an eine Beziehung von Anfang an klar zu kommunizieren.

Auch das Umfeld bezog Stellung: Die offen IADI-feindliche, aber Falk zugeneigte Facebook-Seite »Bid’ah MEME« ging so weit, al-Hanafi in einem Posting als »Homo_Bala« und »Call Boy [sic!]« zu bezeichnen und ein lasziv-provokantes, eindeutig privates Selfie in Umlauf zu bringen, das al-Hanafi im Seidenschlafanzug und in Versace-Bettwäsche zeigt.[38] Falk und bin Abdullah nehmen in ihren Reaktionsvideos auf dieses Bild Bezug, Ersterer als Bestätigung seiner Vorwürfe der mangelnden Seriosität al-Hanafis, Letzterer im anklagenden Tonfall an eine der zwei Frauen Falks, die das Bild verbreitet habe – wobei die Frage unbeantwortet bleibt, wie diese überhaupt an das Bild gekommen ist. Der anscheinend mehrfache Versuch von IADI-Sympathisant*innen, Falks Reaktionsvideo zu sperren, wirkt fast bemitleidenswert, woraufhin Falks Partner in Crime (und Admin seines Telegram-Channels) in einem wutentbrannt-beleidigenden Posting gegen IADI wetterte.[39] Das Editieren von Nachrichten ist bei Telegram durchaus möglich – Falk entschied sich wohl dagegen. Vielmehr hat er bereits ein neues Video angekündigt,[40] das zeitnah erscheinen solle und bei dem davon auszugehen ist, dass es zumindest am Rande auch um IADI gehen wird. Ähnlich wahrscheinlich ist, dass auch IADI oder zumindest al-Hanafi die Sache nicht ruhen lassen kann.

Tragödie, Komödie oder doch: Viel Lärm um nichts?

Das ganze Drama wirft die Frage auf, wie sich dieses Zerwürfnis auf beide Seiten auswirkt. Falks plötzliches Offenbaren seiner Glaubensvorstellungen ist in der Tat interessant, beläuft sich das Rückbeziehen auf seine Religion innerhalb seiner Videos und sonstigen Statements doch üblicherweise eher auf ein simples »Inshallah« (so Gott will) hier und da, als wirklich tiefgreifend theologische Themenbezüge aufzuweisen. Gerade das hat bisher auch eine seiner Stärken ausgemacht: Die von ihm angeführte Kritik an Politik und System sowie seine Aufrufe an die muslimische Gemeinschaft besaßen das Potenzial, gruppenübergreifend Muslim*innen anzusprechen. Themen wie Solidarität mit Muslim*innen weltweit, Umweltschutz, mehr soziale Gleichheit oder Frieden für den arabischen Raum können größtenteils unabhängig von Glaubensvorstellungen vertreten werden. Seine klare Positionierung zum Wahhabismus hingegen könnte Muslim*innen, die deren Lehren und Überzeugungen skeptisch gegenüberstehen, verprellen.

Die Art und Weise, wie dieser Streit ausgetragen wurde, wird der Seriosität beider Seiten außerdem nicht zuträglich gewesen sein. Andererseits ist Falk hauptsächlich aufgrund seines Netzwerks an Anwälten und seiner Praxiserfahrung im Umgang mit Anklagen und Gefängnisaufenthalten mehr eine Ansprechperson, als dass seine Anhänger*innen in ihm einen belesenen islamischen Theologen sehen würden, dem Fragen zu Koran und Sunna gestellt würden. Das macht jedoch auch seine Bedrohlichkeit aus: Er selbst mag innerhalb (und außerhalb) der Szene mit seinen wackelig-religiösen Argumentationen und seiner Vorliebe zu pompösen Aufrufen zu globalem Widerstand eher skeptisch bis belächelnd beäugt werden. Täte er sich jedoch mit einem Charismatiker zusammen, der besser dazu in der Lage ist, eine Anhänger*innenschaft zu generieren und gelungene Auftritte zu inszenieren, könnte Falk mit seinen Fertigkeiten gefährlicher werden.

Und eines muss man IADI trotz ihrer Eigenarten lassen: Sie bleiben über die Jahre und auch im aktuellen Konflikt konsistent in ihren Argumentationen und Überzeugungen. Ihre Hauptzielgruppe besteht aufgrund ihrer expliziten Zuordnung zur hanafitisch-maturidischen Lehre, die sie innerhalb der Kontroverse noch einmal bekräftigen konnten, in türkischstämmigen Muslim*innen derselben Glaubensvorstellung, nicht in Salafist*innen. Diese Linie vertreten sie nicht erst seit Kurzem, was bedeutet, dass Falk zuvor bewusst darüber hinweggesehen hat. Zudem bewegen sich viele der radikalen Muslim*innen, die zu seiner Zielgruppe gehören, ohnehin im wahhabitischen Spektrum, sodass die Bedeutung seines theologischen Erwachens wohl eher nicht in der Rekrutierung neuer Follower liegt und aufgrund der plumpen Durchführung auch nicht ganz ernst genommen werden kann. Denn Falk, der doch sonst nicht um Worte verlegen ist, verweist schlicht auf Abdellatifs Videos, um seine tiefen religiösen Überzeugungen darzulegen, anstatt sie selbst zu erklären.

Was hat ihn also dazu gebracht, dieses Zerwürfnis herbeizuführen? Am wahrscheinlichsten ist, dass persönliche Auseinandersetzungen der Grund sind. Die Chemie zwischen Falk und insbesondere al-Hanafi stimmte von Anfang an nicht. Vielleicht wurde es Falk im letzten Jahr dann einfach zu bunt, vielleicht hat er jemand anderen gefunden, der ihm bei seiner Content-Produktion zur Hand geht – es scheint, als ende die Geschichte so, wie sie begann: mit viel Lärm um nichts.

[1] Der Name Safia S. (als extremes Beispiel derartig negativer Beeinflussung) ist mit Sicherheit noch ein Begriff, vgl. etwa Janisch, Wolfgang: Terrorismus. Urteil gegen Safia S. rechtskräftig, in: Süddeutsche.de, 19.04.2018, URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/terrorismus-urteil-gegen-safia-s-rechtskraeftig-1.3951533?reduced=true [eingesehen am 21.02.2020].

[2] Aus dem Beschreibungstext von »Interview mit YASIN AL-HANAFI ᴴᴰ┇ MEINE GESCHICHTE 1.2«, 08.08.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=aK0vpQFAfbc&t=1s [eingesehen am 18.02.2020].

[3] Wobei zumindest ein Foto gemeinsame Aktionen bereits auf 2015 datiert (vgl. den Instagram-Post der Seite imauftragdesislam_ vom 21.09.2015, URL: https://www.instagram.com/p/75w7exAYi_/ [eingesehen am 05.02.2020].

[4] Für einen Einblick in das Intro- Œuvre al-Hanafis bieten sich besonders an: »Kommentar | Ist der Islam noch zu retten? | YASIN AL-HANAFI [NEU]«, 22.08.2019, URL: https://www.youtube.com/watch?v=wSyyqSHhkrM [eingesehen am 05.02.2020] oder »Al-Muqawama ᴴᴰ┇Die Antwort auf Abdellatif | Yasin Al-Hanafi«, 10.09.2019, URL: https://www.youtube.com/watch?v=s9Xr9RY5jJM [eingesehen am 06.02.2020]. Falks Intros wirken dagegen fast langweilig, setzt er doch lieber auf leicht klagende Anaschid (muslimische A-cappella-Gesänge), Slow-Mo- und Filtereffekte, wie z.B. hier: »Bruder Falk, 03.08.19: Islamischer Widerstand ist keine Show!«, 22.09.2019, URL: https://www.youtube.com/watch?v=NBa18-D49hw [eingesehen am 04.02.2020].

[5] Falk greift dabei auf eine eher pastoral-leiernde Manier zurück und insbesondere die einleitende Begrüßung weckt Assoziationen zur »Die Feuerzangenbowle«-Ikone Professor Crey. Die Akteure von IADI bemühen sich stets um Nachrichtensprecher*innen-ähnliche Seriosität, meines Erachtens jedoch etwas zu sehr, sodass sich die Bemühungen ins Gegenteil verkehren.

[6] Vgl. »Bruder Falk, 13.10.19: Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 15:00, 03.12.2019, URL: https://www.youtube.com/watch?v=jBvUgKWGlQQ [eingesehen am 06.02.2020].

[7] Vgl. bspw. »›Der Gefährder – Ein Islamist packt aus‹«, ab Minute 23:00, 10.07.2019, URL: https://www.youtube.com/watch?v=WWXv2pqrWb8 [eingesehen am 06.02.2020].

[8] Vgl. bspw. bin Abdullah rechts hinter Falk und vermutlich Azad als Kameramann bei Falks Vortrag in Frankfurt a.M. am 13.06.2017: »Bruder Falk über sunnitische Gefangene im Iran (13.06.2015)«, 01.12.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=CvLSwiJjmkk [eingesehen am 16.02.2020].

[9] Vgl. Posting des Instagram-Accounts _yasin_al_hanafi vom 13.01.2020, URL: https://www.instagram.com/p/B7QOv3Lhdub/ [eingesehen am 05.02.2020].

[10] »Islamischer Widerstand ist keine Show!«, ab Minute 13:35.

[11] Beispielsweise Telegram-Posting im Channel »Falk Aktuell« vom 17.11.2019, 21:08 Uhr, URL: https://t.me/s/falkaktuell [eingesehen am 05.02.2020].

[12] Auch sich selbst bezeichnet er als »ersten deutschen muslimischen politischen Gefangenen«, obwohl er seine Strafe aufgrund von vierfachem versuchten Mord aus linksterroristischen Motiven verbüßte (vgl. »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 11:00).

[13] So gingen Expert*innen der Sicherheitsbehörden zeitweise davon aus, dass mindestens 25 bis 50 Personen der AIZ angehörten (vgl. o.V.: Terrorismus. Männlich großkotzig, in: Spiegel Online, 24.06.1996, URL: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8939715.html [eingesehen am 05.02.2020]).

[14] Vgl. bspw. »›Der Gefährder – Ein Islamist packt aus‹«, ab Minute 22:40.

[15] Einige seiner Vorträge sind auf Kurmandschi (vgl. bspw. »Kürtçe Tevhid Dersleri 07 | Hukmî îslam û elametê Îslamê | Azad«, 24.11.2019, URL: https://www.youtube.com/watch?v=98TBJ8scUyk [eingesehen am 06.02.2020]).

[16] Vgl. »Stellungnahme |Von Muslimen zu »Gefährdern und Terroristen« ?«, ab Minute 5:00 bzw. 35:00, 05.09.2017, URL: https://www.imauftragdesislam.com/stellungnahmevon-muslimen-zu-gefhrdern-und-terroristen-_d790.html [eingesehen am 07.02.2020].

[17] Für die IADI-Interpretation eines Kalifats vgl. u.a. o.V.: Das Islamische Kalifat, 01.10.2017, URL: https://www.imauftragdesislam.com/das-islamische-kalifat_d958.html [eingesehen am 07.02.2020].

[18] Nach einer Vorladung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Beleidigung löschte er auf beiden Kanälen sämtliche von ihm geposteten Videos; diese sind seit Februar 2020 größtenteils wieder hochgeladen.

[19] Vgl. »Erfahrungen mit Sektierern«. Auf Karacars Instagram-Profil finden sich einige Bilder mit Falk über die Jahre; auch eines, das ihn und Azad am Krankenhausbett von Falk zeigt.

[20] Vgl. »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 14:00.

[21] Der erhobene Zeigefinger gilt als Symbol für den Glauben an den einen Gott.

[22] Vgl. Posting des Instagram-Accounts furkan_bin_abdullah_ vom 21.06.2018, URL: https://www.instagram.com/p/BkStc8EjsQwXHvhAI9mV02_aMCHsSzyBfWPGWg0/ [eingesehen am 06.02.2020].

[23] Vgl. bspw. »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 18:30, oder »Koran Projekt 231 | Die Prüfungen in der Minderheit | Sure Saad 41–54 | Furkan bin Abdullah«, 06.10.2019, ab Minute 11:40, URL: https://www.youtube.com/watch?v=fhUL5C84XK0 [eingesehen am 30.01.2020].

[24] »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 22:00.

[25] In Syrien stieg Seyam 2014 zum Bildungsminister des IS auf – der höchste Rang, den ein Deutscher bisher innerhalb der Terrororganisation eingenommen hat (vgl. Del Haes et al.: »Von Berlin in den IS-Führungszirkel«, in: tagesschau.de, URL: https://web.archive.org/web/20141217003405/http://www.tagesschau.de/inland/deutscher-in-is-fuehrung-101.html [eingesehen am 06.02.2020]).

[26] »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 38:00.

[27] Vgl. ebd.

[28] Linguistisch heißt Aqida so viel wie »Sicherheit« oder »Bestätigung«; im theologischen Sinne bedeutet Aqida »Bekenntnis« – je nachdem, welcher Schule sich ein*e Muslim*in zugehörig fühlt, können diese (teilweise) konfligieren. Für den Post von Falk siehe den Beitrag auf der Facebook-Seite »Falk Nachrichten«, URL: https://www.facebook.com/1949997798546553/photos/a.1949999005213099/2337201213159541/?type=3&theater bzw. https://www.facebook.com/1949997798546553/photos/a.1949999005213099/2351570158389313/?type=3&theater [eingesehen am 07.02.2020].

[29] Vgl. »Debatte zwischen ABDULLATIF & YASIN, sowie dessen Auslöser BERNHARD J. FALK«, 29.10.2019, https://www.youtube.com/watch?v=XfXe2HpcYOA [eingesehen am 05.02.2020].

[30] »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 48:00.

[31] Vgl. »Al-Muqawama ᴴᴰ┇Die Antwort auf Abdellatif | Yasin Al-Hanafi«, insbesondere ab 1:30:00 sowie al-Hanafis Posting des Instagram-Kanals _yasin_al_hanafi_ vom 12.01.2020, URL: https://www.instagram.com/p/B7N5pwWjoUq/ [eingesehen am 06.02.2020].

[32] »Du sagst du bist Araber aber hast das nicht gecheckt oder wie?« (»Al-Muqawama ᴴᴰ┇Die Antwort auf Abdellatif | Yasin Al-Hanafi«, ab 1:11:45).

[33] Vgl. »Debatte zwischen ABDULLATIF & YASIN«, ab Minute 11:00.

[34] Siehe »Erfahrung mit den Sektierern«.

[35] Vgl. »Debatte zwischen ABDULLATIF & YASIN«, ab Minute 11:00.

[36] »Erfahrungen mit Sektierern«, ab Minute 33:00.

[37] Ebd., ab Minute 31:00.

[38] Als sei das alles nicht genug, ist das Logo von Versace der Kopf der Medusa. al-Hanafi ist somit auch noch eindeutig ein Götzendiener! (Vgl. Posting der Seite »Bid’ah MEME« am 03.09.2019, 13:02 Uhr, URL: https://m.facebook.com/story.php?story_fbid=2760264464199979&id=2090485291177903 [eingesehen am 06.02.2020].)

[39] Siehe Posting im Telegram-Channel »Falk Aktuell« am 11.01.2020, 13:37 Uhr, URL: https://t.me/s/falkaktuell [eingesehen am 05.02.2020].

[40] Vgl. Posting im Telegram-Channel »Falk Aktuell« am 03.02.2020, 23:12 Uhr, URL: https://t.me/s/falkaktuell [eingesehen am 05.02.2020].